top of page

Psychologie des Fremdgehens

Warum Menschen fremdgehen – und wie Beziehungen das überleben können

“Ich liebe meinen Partner. Warum habe ich mich dann auf diese andere Person eingelassen?”

Diese Frage stellt mir eine Klientin mit tränenerfüllten Augen. Die Affäre ist vorbei, aber die Schuldgefühle bleiben. Sie verstand selbst nicht, wie es dazu kommen konnte, denn sie wollte ihre Beziehung nie zerstören.


Es mag überraschend klingen, aber in meiner Arbeit als Paar- und Psychotherapeutin erfahre ich dies oft: Fremdgehen geschieht nicht aus Berechnung, sondern mitten in einem Alltag, in dem das Paar sich vermeintlich sicher fühlt. Und plötzlich ist alles anders: Vertrauen zerbricht, die Welt des Paares gerät ins Wanken.


Fremdgehen ist eines der emotional aufgeladensten Themen in Partnerschaften. Es berührt Vertrauen, Selbstwert, Bindung und das grundlegende Sicherheitsgefühl in einer Beziehung. Viele Paare sind betroffen. Je nach Umfrage gehen ca. 25% der Menschen fremd – wobei davon ausgegangen werden kann, dass die Dunkelziffer noch einiges höher liegt. Doch weshalb betrügen wir überhaupt? Wo beginnt Untreue – und lässt sie sich verhindern? Ist Treue in einer lebenslangen Partnerschaft überhaupt ein realistisches Ziel?


In diesem Blogpost möchte ich häufige Fragen rund um Untreue aus psychotherapeutischer Sicht beleuchten, einordnen und praxisnahe Tipps geben.


Weshalb betrügen Menschen?

Die Gründe für Untreue sind vielfältig und meist komplex. In der psychologischen Forschung werden häufig mehrere Motive unterschieden:

  • Emotionale Vernachlässigung: Viele Menschen berichten, dass sie sich in ihrer Beziehung einsam, übersehen oder emotional nicht mehr verbunden fühlen. Ein Aussenkontakt füllt dann eine emotionale Lücke.

  • Sexuelle Unzufriedenheit: Andere suchen sexuelle Abwechslung, Leidenschaft oder Bestätigung, die sie in der Partnerschaft vermissen.

  • Selbstwertsteigerung: Manchmal geht es weniger um den anderen Menschen als um das eigene Gefühl, begehrenswert und lebendig zu sein.

  • Gelegenheit und Impulsivität: Gelegenheiten, z. B. auf Dienstreisen, gepaart mit Alkohol oder wenig Selbstkontrolle, können ebenfalls zu spontanen Seitensprüngen führen.

  • Bindungsangst oder Konfliktvermeidung: Für manche ist Fremdgehen (unbewusst) ein Weg, Nähe zu sabotieren oder eine Trennung einzuleiten, die sie sich nicht auszusprechen trauen.


Wichtig: Fremdgehen ist selten ein “Charakterfehler”. Es ist oft ein Symptom für ungelöste Beziehungsdynamiken oder persönliche Krisen. Das ist keine Entschuldigung, aber kann als Erklärung dienen, um den Betrug besser zu verstehen und verarbeiten zu können. 


© Sed "Creatives" Sardar / Unsplash
© Sed "Creatives" Sardar / Unsplash

Wo beginnt Untreue?

Untreue ist kein klar definierter Punkt, sondern ein Kontinuum. Was als “Fremdgehen” gilt, empfinden Menschen sehr unterschiedlich. Für einige ist heimliches Flirten oder emotionale Nähe mit einer Person des anziehenden Geschlechts bereits Betrug, andere ziehen die Grenze bei Lügen, Verheimlichen oder sexuellem Kontakt. 


Entscheidend ist nicht die Handlung per se, sondern die Missachtung der Vereinbarungen innerhalb der Beziehung.


Tipp: Paare profitieren davon, früh und offen darüber zu sprechen, was sie unter Treue verstehen, anstatt stillschweigend von denselben Vorstellungen auszugehen.


Führt Fremdgehen immer zur Trennung?


Die kurze Antwort: Nein. Zwar erleben viele Paare nach einem Seitensprung zunächst einen massiven Vertrauenseinbruch, doch Studien zeigen: Ein Teil der Paare schafft es, nach einer Affäre wieder Vertrauen aufzubauen. In einigen Fällen kann die Beziehung sogar langfristig stabiler und authentischer werden, insbesondere, wenn durch den Betrug destruktive Dynamiken ans Tageslicht kommen, welche durch das Paar bearbeitet werden können.


Ob die Beziehung nach einem Seitensprung noch eine Chance hat, hängt einerseits von der Reaktion der untreuen Person ab. Zeigt diese ehrliche Reue und Bereitschaft zur Transparenz, ist dies im Heilungsprozess förderlich. Andererseits spielt die Verarbeitung der verletzten Person eine grosse Rolle, insbesondere, ob diese Offenheit für Heilung zeigt. Weiter ist die Beziehungsqualität vor dem Seitensprung oft ausschlaggebend dafür, ob sich ein Paar auf sicherem Boden befindet oder durch den Betrug zu sehr ins Wanken gerät. So oder so kann externe Unterstützung, z. B. in Form einer Paartherapie, helfen, diese herausfordernden Zeiten zu meistern. 


Wichtig dabei ist, dass beide Verantwortung für die Beziehung und den Heilungsprozess übernehmen, auch wenn nur eine Person fremdgegangen ist.


Wieso gehen Frauen fremd – und wieso Männer?

Traditionell wurde Fremdgehen Männern zugeschrieben, aber heute zeigen Studien, dass Frauen ähnlich häufig fremdgehen. Die Motive können sich jedoch leicht unterscheiden: Während Männer häufiger von sexueller Abwechslung, Abenteuerlust und Gelegenheit als Hauptmotiv berichten, nennen Frauen öfter emotionale Vernachlässigung, fehlende Wertschätzung oder Nähe als Auslöser.


Diese Unterschiede sind natürlich verallgemeinernd – individuelle Motive sind immer vielfältig. Allerdings zeigt sich in diesen Ergebnissen ein interessanter biologischer Aspekt: Männer reagieren oft stärker auf sexuelle Untreue, während Frauen eher emotionale Untreue belastet. Eine Erklärung dafür liefern evolutionspsychologische Theorien: Männer mussten in der Vergangenheit “sicher sein”, dass Nachwuchs von ihnen stammt, während für Frauen die emotionale Bindung und Versorgung durch den Partner wichtiger war. Andere Forschende betonen dagegen soziale Rollenbilder als Ursache – die Debatte ist also noch nicht endgültig entschieden.


Sollte man ein einmaliges Fremdgehen gestehen oder verschweigen?

Das ist eine der häufigsten Fragen in der Praxis – und es gibt hat keine pauschale Antwort.

Entscheidend ist einerseits, ob das Geständnis aus Reue und dem Wunsch nach Ehrlichkeit gemacht wird, oder eher, um das eigene Gewissen zu entlasten. Wenn dich diese Frage beschäftigt, lohnt es sich, zu fragen, ob die Beziehung durch die Ehrlichkeit langfristig realistisch gestärkt werden kann resp. im Falle einer Verheimlichung stark geschädigt würde. Das ist dann beispielsweise der Fall, wenn es Risiken für die Gesundheit (z. B. sexuell übertragbare Krankheiten) gibt, die offengelegt werden müssen. 


Als Faustregel gilt: Wenn die Affäre andauert oder die Beziehung beeinflusst, ist Ehrlichkeit notwendig. Bei einem einmaligen Ausrutscher, der sicher beendet ist und bei dem keine Gefahr besteht, kann auch das Schweigen eine vertretbare Entscheidung sein – vorausgesetzt, man übernimmt innerlich Verantwortung und reflektiert die Ursachen.


Eine begleitende Einzel- oder Paartherapie kann helfen, diese Entscheidung bewusst und nicht impulsiv zu treffen.


Trägt die betrogene Person Mitverantwortung?

Hierzu ist wichtig, klar zu differenzieren: Verantwortung für die Entscheidung zum Fremdgehen trägt ausschliesslich die untreue Person. 


Dennoch entstehen Affären selten in einem Vakuum. Oft gibt es Beziehungsmuster, die beide Partner:innen mitgestaltet haben – etwa fehlende Kommunikation, ungelöste Konflikte, sexuelle Distanz. Es ist daher hilfreich, nach einem Seitensprung beides anzuschauen: die individuelle Verantwortung für den Vertrauensbruch und die gemeinsamen Dynamiken, die möglicherweise den Boden dafür bereitet haben. Das bedeutet keine Schuldzuweisung, sondern die Chance, aus der Krise zu lernen.


Prävention: Wie lässt sich Fremdgehen vorbeugen?

Absolute Sicherheit gibt es nie – aber Paare können viel dafür tun, dass Untreue gar nicht erst attraktiv oder notwendig erscheint. Bewährt haben sich in meiner Erfahrung folgende Tipps:

  • Offene Kommunikation über Bedürfnisse und Wünsche – auch über sexuelle. Potentielle Konflikte offen ansprechen, statt sie zu verdrängen.

  • Regelmässige Pflege von Intimität und Nähe im Alltag, z. B. durch bewusste gemeinsame Zeit mindestens einmal pro Woche (in Form von regelmässigen Dates oder auch mit “Check-ins”) 

  • Sich gegenseitig wertschätzen: Kleine Zeichen von Anerkennung stärken die Bindung.

  • Eigene Autonomie und Individualität bewahren: Wer sich selbst entfalten darf, fühlt sich in der Beziehung weniger eingeengt.

  • Gemeinsame Visionen entwickeln, die emotional verbinden – z. B. Pläne, Träume, Projekte


Viele Paare profitieren auch präventiv von Paarberatung, um Muster frühzeitig zu erkennen.


Ist Monogamie noch zeitgemäss?

Diese Frage taucht zunehmend auf, gerade bei jüngeren Menschen.


Einerseits zeigen Langzeitstudien, dass sich die meisten Menschen eine monogame Beziehung wünschen – vor allem aufgrund von Sicherheit, Exklusivität und Bindung. Andererseits leben wir heute länger, individueller und mit mehr Wahlmöglichkeiten als je zuvor. Lebenslange Monogamie ist dadurch herausfordernder geworden.


Wichtig ist: Monogamie ist kein „Naturgesetz“, sondern eine kulturelle Entscheidung. Wer Monogamie wählt, sollte dies also bewusst und nicht aus Tradition oder Angst tun. Ebenso legitim sind konsensuelle nicht-monogame Beziehungsmodelle, wenn beide Partner:innen sie wollen und Regeln klar aushandeln.

Treue ist also kein starres Konzept, sondern kann neu und individuell definiert werden.


Fazit: Fremdgehen als Krise – und Chance

Fremdgehen ist schmerzhaft, kann Vertrauen zerstören und Beziehungen tief erschüttern. Gleichzeitig kann eine Affäre auch ein Weckruf sein, der verdrängte Themen ans Licht bringt und Veränderungen anstösst – wenn beide bereit sind, hinzuschauen. Es gibt dabei keine einfache “Schuldfrage”, aber es gibt Verantwortung. Und es gibt Wege, die Beziehung bewusst zu gestalten, Bedürfnisse zu kommunizieren und Nähe lebendig zu halten.


Als Psychotherapeutin erlebe ich immer wieder: Krisen wie Fremdgehen bedeuten nicht automatisch das Ende. Sie können – mit ehrlicher Auseinandersetzung, Geduld und allenfalls therapeutischer Begleitung – der Anfang einer reiferen, echten Beziehung sein.



 
 
 

Kommentare


+41 78 722 41 77 /

Flühgasse 17, 8008 Zürich, Switzerland

©2021 ISSP / Psychotherapie & Beratung Ramona Zenger

bottom of page